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    Apokalypse

    Apokalypse Mitten in der Nacht wachte ich von einem heftigen Donner auf. Meine Katzen verkrochen sich unter dem Bett, was sie sonst nie taten. Bei diesem Krach würde ich sowieso nicht mehr einschlafen können und da konnte ich genau so gut schauen, was eigentlich los war. Mein Fenster ist in einem dieser Wohnblocks ganz oben. Ich öffnete es und wurde im selben Augenblick durchnässt. Dort draußen war das absolut schlimmste Unwetter im Gange, das ich je gesehen hatte. Der Regen stürzte vom Himmel und die Straße stand unter Wasser. Grelle farbige Blitze rissen die Nacht in Stücke und machten Momente taghell. Meinem Haus gegenüber riss man gerade einen dieser alten Wohnblocks ab und der große "Steinbeißer" wurde als unheimliches Monster beleuchtet. Jetzt in der Nacht müsste er eigentlich ruhig und zusammengeklappt stehen, aber er bewegte sich mit der Grazie eines lebenden Tieres und biss große Stücke aus dem Haus.
    Ich bekam am ganzen Körper Gänsehaut.
    Was ging hier vor?

    Direkt unter meinem Fenster befand sich eine Kreuzung und daneben ein Supermarkt. Dort unter einer großen überdachten Fläche trafen sich immer die Penner und Alkoholiker, um zu trinken, zu reden und vielleicht auch nur, um nicht allein zu sein. Normalerweise sah man aber in der Nacht niemanden mehr von ihnen. Nur jetzt war es anders. Sie saßen alle dort, unterhielten sich und tranken. Sie schienen aufgeregt zu sein, denn sie fuchtelten mit den Armen und zeigten an den Himmel und zu dem unermüdlichen "Steinbeißer" hinüber. Da schälte sich aus dem Regen eine merkwürdige Gestalt. Sogar vor diesem beängstigenden Hintergrund war sie irgendwie deplaziert. Es war ein Mann. Ich konnte nicht sehen, ob er jung oder alt war. Er trug einen seltsamen Kittel, der an ein Krankenhausnachthemd erinnerte. Sein langes Haar klebte in Strähnen um seinen Kopf und teilweise auch im Gesicht. Ich konnte erkennen, dass er einen Vollbart trug, aber seine Augen waren tiefe schwarze Höhlen. Er stellte sich vor die Alkis und Penner hin, breitete theatralisch die Arme nach beiden Seiten aus und hob sein Gesicht in den Regen.
    An was nur erinnerte mich dieser Mensch?
    Dann begann er zu sprechen und ich wunderte mich, wieso ich seine Stimme bis zu mir nach oben hören konnte. "Hört mir zu. Ihr da, hört, was ich zu sagen habe:
    Der jüngste Tag ist gekommen. Ich bin hier, um das Ende der Welt zu verkünden. Ich bin Jesus Christus, der Sohn Gottes und gekommen, euch zu erlösen. Dies ist die letzte Möglichkeit, eure Sünden zu bereuen und des Himmels teilhaftig zu werden. Die Apokalypse bricht an und die Welt wird untergehen."

    Alle waren ruhig und starrten den Mann an. Der sprach aber schon weiter:
    "Bereut eure Sünden, auf das ihr in das Himmelreich kommen könnt!"

    Alle Haare meines Körpers hatten sich inzwischen steil aufgerichtet und ich hatte das Gefühl, auszusehen, als sei ich mit Starkstrom in Berührung gekommen. Die Penner sahen sich gegenseitig ratlos an und zuckten mit den Schultern. Einer von ihnen rülpste, was ein Kichern auslöste und röhrte dann:
    "Eh, du Pisser! Was soll´n die Scheiße von Ende der Welt und so? Von wo bist´n du abgehaun? Hast´n Bier? Wenn nich, dann verpiss dich und lass deine Scheiße wo anders ab!" Die anderen nickten beifällig. "Ja, Mann, verpiss dich!" Der Mann in dem seltsamen Kittel schaute die anderen Männer ratlos an und wollte ansetzen, noch etwas zu sagen. Schon breitete er die Arme aus. Aber einer der Penner schmiss eine leere Bierbüchse nach ihm und schrie: "Eh, verpiss dich endlich!" Da lies der Mann die Arme sinken und in einer Haltung, als verstehe er nichts von dem, was er eben gehört hatte, wollte er die Straße überqueren. Der Regen prasselte auf ihn herab und ich hatte den Eindruck, bei dieser Menge an Wasser müsse er bald schwimmen. Seine Worte gingen mir nicht aus dem Kopf. Er wankte auf die Straße und ich hielt den Atem an, denn im gleichen Moment kam ein Auto mit einer mächtigen Bugwelle über die Kreuzung geschossen. Ich wunderte mich, dass es überhaupt noch fuhr bei diesem Wasserstand. Das Auto bremste mühsam und berührte den seltsamen Mann schon fast, als es zum Stehen kam. Der Fahrer des Wagens riss die Autotür auf, sprang heraus und fuchtelte mit den Armen. Ich konnte nicht verstehen, was er schrie. Aber der Mann im Kittel schaute ihn an und kein Wort kam mehr über die Lippen des aufgeregten Autofahrers. Wieder breitete der Mann im Kittel seine Arme aus und ich hörte die selben Worte, wie vorhin schon:
    "Der jüngste Tag ist gekommen. Ich bin hier, um das Ende der Welt zu verkünden. Ich bin Jesus Christus, der Sohn Gottes und gekommen, euch zu erlösen. Dies ist die letzte Möglichkeit, eure Sünden zu bereuen und des Himmels teilhaftig zu erden. Die Apokalypse bricht an und die Welt wird untergehen."
    Und er schaute den Mann an, der ihn mit offenem Mund anstarrte. Dann sprach er weiter:
    "Bereut eure Sünden, auf das ihr in das Himmelreich kommen könnt!"
    Der Autofahrer schüttelte sich wie ein nasser Hund und riss seine Fahrertür wieder auf. Er beugte sich hinein und ich sah ihn ein Handy schützend unter das Autodach halten. Er führte ein kurzes Gespräch und warf das Handy dann auf den Fahrersitz. Er legte dem Mann im Kittel einen Arm um die Schultern und redete auf ihn ein. Ich konnte nicht verstehen, was er sagte, aber seiner Haltung nach, waren es Worte der Beruhigung. Der Mann im Kittel schien irritiert zu sein, schien nicht zu verstehen, was mit ihm geschah. Ich beobachtete die Szene und warf auch noch einen schaudernden Blick auf den "Steinbeißer", der seiner Arbeit noch immer unermüdlich nachging.

    Als in der Ferne ein Martinshorn näher kam, schaute ich wieder zu dem Autofahrer hinunter. Er hatte den seltsamen Mann noch immer bei den Schultern gefasst und redete auf ihn ein. Aber der Mann schien nicht mehr zuhören zu wollen. Als er sich gerade aus der Umklammerung des Autofahrers herauswinden wollte, war der Notarztwagen schon da und eifrig sprangen zwei Assistenten heraus. Der inzwischen sichtlich gestresste Autofahrer redete auf sie ein, während der Mann in seinem seltsamen Kittel die Aufmerksamkeit nunmehr auf die Neuankömmlinge richtete. Wieder breitete er die Arme aus. Aber als die Notarztassistenten ihn an seinen Armen fassten und langsam in den Sankra führten, da verstand er gar nichts mehr. Er blickte total verwirrt um sich, musterte sekundenlang den "Steinbeißer" und wandte dann sein Gesicht in meine Richtung. Schnell schlüpfte ich hinter die Gardine. Trotzdem hatte ich den Eindruck, sein Blick brenne sich in meine Seele ganz tief ein. Dann fuhr der Notarztwagen mit seinem seltsamen Gast weg und auch der Autofahrer stieg wieder in seinen Wagen, der aber inzwischen nicht mehr starten wollte. Dies wurde von den Pennern mit sachkundigen Augen verfolgt und mit hämischem Grinsen kommentiert.

    Der Steinbeißer biss wieder ein riesiges Stück aus dem Haus und ein rot-gelber Blitz erleuchtete die Szenerie, von dem ich dachte, diese Farben und dieses Licht gäbe es nur im Film. Und zum wievielten Mal in dieser kurzen Zeit bekam ich Gänsehaut? Die Wolken bekamen eine beunruhigend rot-schwarze Farbe. Sie wirbelten über den Himmel.
    Formen schälten sich heraus.
    Formen aus Wolken, trotzdem so massiv, als können sie die Erde erdrücken. Figuren aus Rauch, die das Gefühl hervorriefen, sie seien aus Stahl. Figuren, die an Reiter erinnerten.

    Und wirklich wurden es vier Reiter. Zwar immer noch aus Rauch aber in ihrer Wirkung kompakter als die Welt um mich her, die im Regen ertrank. Langsam konnte ich die erste Figur dieser Schar erkennen. Ein weißes Pferd, ein in sich gebeugter Reiter, sehr groß und eine riesige Sense an seiner Seite. Plötzlich bremste dieser Reiter so abrupt, dass die Rauchgestalt seines Pferdes ins Straucheln kam. Regetropfen spritzten unter den Hufen und sahen in diesem Licht aus, wie die Funken einer Wunderkerze. Kann eine Wolke straucheln, oder auch nur so substantiell sein, dass es so wirklich aussieht???!!! Ich war völlig desorientiert und konnte nur noch hinsehen.

    Der Steinbeißer riss immer noch mit Begeisterung riesige Stücke aus dem Haus und warf sie chaotisch auf den Boden. In der Ferne hörte ich, warum nur, immer noch die Litanei, die der seltsame Mann im Kittel vorgetragen hatte. Der Reiter mit seiner Sense stand am Himmel und schaute. Ich konnte spüren, wie er versuchte, jede noch so kleine Einzelheit zu erfassen. Und plötzlich merkte ich, dass er sich meiner Augen und meines Verstehens für die Dinge bediente. Er war einfach in mir drin, als ob er mich wie ein Scanner erfasst hätte, aber doch war es so, als ob er mein eigenes Fühlen sehen könne, aber nicht antasten. Schmerz schien er fühlen zu können, in ganzer Tiefe, ohne etwas davon wegnehmen zu können. Dieses Gleichfühlen warf mich aus der Bahn.

    Ich sehe dieses Wesen an: ein Wesen aus Wolken, Kraft, Energie und einem Teil, den ich nicht erkenne. Und dieses Ding ist in meinem Kopf! Kennt alle Gedanken und Gefühle, die ich jemals hatte - auch die Vergessenen. Alle meine Antennen sind auf Empfang. Ich weiß, dies ist der Tod, gekommen in jener Gestalt, die vorhergesagt worden war.

    Dann sprach das Wesen: "Ich schaue mich um." Eine Zeitlang musterte er den eifrigen Steinbeißer, die Penner und die ganze Stadt. Ich glaube, er konnte in jedes Haus, jede Wohnung, jedes Herz sehen. "Ich schaue mich um in dieser Welt, wie ihr Menschen sie gemacht habt und ich kann einfach nichts sehen, was ich besser machen könnte." Noch einmal schaute er sich um. Dann nickte er und sprach weiter: "Ihr habt die Vernichtung allen Lebens so perfektioniert und mit Lügen so gut getarnt, dass ich hier stehe und staune und denke, eine Apokalypse ist viel weniger, als ihr Menschen euch selbst antut."

    Und dann zerfloss seine Gestalt und die der anderen Reiter wieder zu Wolken, aus denen sie gekommen waren. Der Steinbeißer stand still und der Regen hörte langsam auf.
    Ein neuer Tag dämmerte.
    Ein ganz normaler Tag.


    © Dreampainter 2005

    das Ende naht

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